Lang lebe die Supraleitung! Kurze Lichtblitze mit nachhaltiger Wirkung
Supraleitung ist eines der faszinierendsten und geheimnisvollsten Phänomene der modernen Physik. Es beschreibt den plötzlichen Verlust des elektrischen Widerstands in bestimmten Materialien, wenn diese unter eine kritische Temperatur abgekühlt werden. Die Notwendigkeit leistungsstarker Kühlung limitiert bislang allerdings die technologische Verwendbarkeit dieser Materialien.
In den letzten Jahren zeigte die Gruppe von Andrea Cavalleri am MPSD, dass intensive Infrarotlichtpulse supraleitende Eigenschaften in einer Vielzahl von Materialien bei viel höheren Temperaturen induzieren können, als es ohne Photostimulation möglich wäre. Allerdings lebten diese exotischen Zustände bisher nur für wenige Pikosekunden (Billionstel einer Sekunde), so dass experimentelle Methoden zu ihrer Untersuchung auf ultraschnelle optische Verfahren beschränkt blieben.
Ein bahnbrechender Fortschritt auf diesem Feld wurde diese Woche gemeldet. Forschern der Cavalleri-Gruppe ist es nun gelungen, die Dauer eines solchen lichtinduzierten supraleitenden Zustands in dem organischen Supraleiter K3C60, der auf Fullerenen ("Fußball"-Moleküle aus 60 Kohlenstoffatomen) basiert, um mehr als vier Größenordnungen zu erhöhen. "Wir haben einen langlebigen Zustand mit verschwindendem Widerstand bei einer Temperatur entdeckt, die fünfmal höher ist als diejenige, bei der die Supraleitung ohne Photoanregung einsetzt", sagt Erstautor Matthias Budden, während dieser Studie Doktorand am MPSD.
"Der Schlüssel zu diesem Erfolg war unsere Entwicklung einer neuartigen Laserquelle, die hochintensive Lichtpulse im mittleren Infrarotbereich mit einstellbarer Dauer von etwa einer Pikosekunde bis zu einer Nanosekunde erzeugen kann", ergänzt Co-Autor Thomas Gebert. Der neue Lasertyp basiert auf der Synchronisation von Hochleistungs-Gaslasern und ihren relativ langen Nanosekunden-Pulsen mit dem ultrapräzisen Rhythmus viel kürzerer Festkörperlaser-Pulse.
Treffen solche langen und intensiven Infrarotlicht-Pulse auf ein Material, können sie Molekülschwingungen, Gitterverzerrungen und sogar Änderungen der elektronischen Konfiguration hervorrufen. Angesichts der Komplexität dieser Prozesse ist es nicht verwunderlich, dass bereits mehrere sehr unterschiedliche Theorien zur Beschreibung der Physik lichtverstärkten Supraleitung vorgeschlagen wurden. Überraschenderweise entdeckten die Autoren in ihrer neuen Arbeit, dass die Supraleitung nach der Photoanregung für mehr als zehn Nanosekunden anhielt. Diese deutlich verlängerten Lebenszeiten der supraleitenden Zustände ermöglichten es dem Team, den elektrischen Widerstand des Materials systematisch zu untersuchen. Obwohl eine mikroskopische Beschreibung der lichtinduzierten Supraleitung in K3C60 noch aussteht, stellen diese Ergebnisse einen neuen Prüfstein für aktuelle Theorien dar.
"Vor allem ebnet unsere Arbeit den Weg für weiterführende Experimente zum photoinduzierten Meissner-Effekt", so Matthias Budden abschließend. "Außerdem inspiriert sie neue Ansätze zur Anwendung von supraleitenden Schaltkreisen in integrierten Bauelementen auf Basis moderner Hochgeschwindigkeitselektronik." Zu solchen Anwendungen gehören extrem empfindliche Magnetfeldsensoren, Hochleistungs-Quantencomputer und die verlustfreie Energieübertragung. Zudem möchte das MPSD-Team seinen neuartigen Ansatz dazu nutzen, längere Anregungspulse im mittleren Infrarotbereich mit direkten Messungen elektronischer und magnetischer Eigenschaften zu kombinieren, um so die Kontrolle und das Verständnis der vielen faszinierenden Phänomene in komplexen Materialien zu verbessern.
Diese Arbeit wurde vom European Research Council (ERC) Synergy Grant "Frontiers in Quantum Materials' Control" (Q-MAC) und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über den Exzellenzcluster "The Hamburg Centre for Ultra-fast Imaging" gefördert. Die Experimente wurden in den Labors des Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) durchgeführt, einem Gemeinschaftsunternehmen von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg. Die Forschungsarbeit wurde in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Oxford (UK), der Universität Parma (IT) und der ELETTRA Synchrotron Facility, Trieste (IT) durchgeführt.