Design von Materialien mit klassischem und Quantenlicht
Forschungsbericht (importiert) 2021 - Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie
In den letzten Jahren ist es gelungen, kurze und starke Laserpulse mit vielen Photonen zu erzeugen, die auf extrem schnellen Zeitskalen mit Materialien wechselwirken und das Verhalten dieser Materialien verändern. Im benachbarten Forschungsgebiet der Quantenoptik stehen dagegen die Quantenfluktuationen des Lichts im Mittelpunkt, bei denen nur wenige virtuelle Photonen im Vakuum entstehen und wieder verschwinden. Am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg schlagen wir nun eine Brücke zwischen diesen beiden Bereichen. Wir erforschen das Potenzial von klassischem und Quantenlicht, um Designermaterialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu kreieren, die neue energiesparende und quantentechnische Anwendungen ermöglichen könnten.
„There’s Plenty of Room at the Bottom: An Invitation to Enter a New Field of Physics" („Unten ist noch reichlich Platz: Eine Einladung, ein neues Feld der Physik zu betreten“) war der Titel eines inzwischen berühmten Vortrags, den der spätere Nobelpreisträger Richard Feynman 1959 auf der Jahrestagung der American Physical Society am Caltech hielt. Darin stellte er die Möglichkeit vor, einzelne Atome zu manipulieren, um gewünschte Strukturen für die Chemie und die Materialwissenschaft von Grund auf aufzubauen, und inspirierte damit das, was wir heute als Nanotechnologie kennen. Was die Wissenschaft auf den kleinsten räumlichen Skalen erreicht hat, spiegelt sich in den Fortschritten wider, die auf die kleinsten Zeitskalen abzielen: Wie schnell können wir verfolgen, wie sich einzelne Atome und Elektronen im Inneren von Materialien verhalten, und können wir sogar ihre faszinierenden Eigenschaften verändern?
Lichtinduzierte supraleitungsähnliche Eigenschaften
Die Forschung am MPSD ist darauf ausgerichtet, genau diese Fragen zu beantworten. Eine der wichtigsten Entdeckungen der Abteilung für Dynamik kondensierter Materie unter der Leitung von Andrea Cavalleri im vergangenen Jahrzehnt war das Phänomen der lichtinduzierten Supraleitung, ein Effekt, bei dem die 1023 Elektronen in einem Material in einen gemeinsamen Quantenzustand gebracht werden und sich wie eine große Teilchenwolke verhalten. Diese reagiert auf ein äußeres Lichtfeld als hätte sie dem Ladungsfluss keinen Widerstand entgegenzusetzen - wie ein Supraleiter.
Im Gegensatz zur Gleichgewichtssupraleitung, die durch die Abkühlung von Materialien auf extrem niedrige Temperaturen erreicht wird, - die gesamte Bewegung der Elektronen und Atome kommt dadurch nahezu zum Stillstand- , wird bei der lichtinduzierten Nichtgleichgewichtsversion die scheinbar entgegengesetzte Strategie angewandt: Die Atome werden durch Pumplaserpulse, deren elektromagnetisches Feld im Gleichschritt mit dem Kristallgitter des Materials schwingt, so stark wie möglich erschüttert. Die Beobachtung von lichtinduzierten supraleitenden Eigenschaften in verschiedenen Materialien führte zu einer Flut von theoretischen Aktivitäten, bei denen die Forscher*innen versuchten, den Zusammenhang zwischen dem Schütteln der Atome eines Kristalls und dem supraleitenden Zustand der 1023 daraus resultierenden Elektronen zu verstehen.
Im Jahr 2020 warf eine gemeinsame experimentell-theoretische Arbeit von MPSD-Wissenschaftler*innen [1] ein neues Licht auf das Phänomen. Das Forschungsteam wies die lichtinduzierte Supraleitung in einem Molekülkristall nach, also einem Material, dessen elementare Gitterbausteine nicht aus einzelnen Atomen, sondern ganzen organischen Molekülen bestehen. Sie zeigten nicht nur, dass lichtinduzierte Supraleitung in diesem Material existiert, sondern auch, dass man die in den Molekülen enthaltenen Atome auf bestimmte Weise schütteln muss, um den Effekt zu erzielen. Durch groß angelegte Computersimulationen schlugen die Theoretiker des Teams eine Verbindung zwischen lichtinduzierter Supraleitung und zeitperiodischen Veränderungen der Elektron-Elektron-Abstoßung vor, die nur dann auftritt, wenn sich die Atome auf eine bestimmte Weise bewegen.
Dieser Effekt wurde als „dynamisches Hubbard U" bezeichnet und bezieht sich auf das Hubbard-Modell - ein weit verbreitetes minimales theoretisches Modell, das veranschaulicht, wie ein Zoo von Phänomenen in Vielteilchen-Quantensystemen aus wenigen, scheinbar einfachen Zutaten entstehen kann. In diesem Modell beschreibt der U-Parameter, wie sich zwei Elektronen aufgrund ihrer negativen Ladungen gegenseitig abstoßen, wenn sie sich zu nahekommen. In den organischen Molekülen, die mit den Frequenzen bestimmter
Molekülschwingungen geschüttelt werden, ist dieser U-Parameter etwa für die Dauer des Laserpulses reduziert und schwingt periodisch in der Zeit. Diese Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der lichtinduzierten Supraleitung, die nach wie vor ein Rätsel darstellt. Sie können Theoretiker*innen helfen, neue Materialien und andere Anregungsschemata vorzuschlagen, um die Eigenschaften von Materialien auf schnellen Zeitskalen zu verändern [2].
Von der klassischen zur Quantenphysik: Hohlraumsupraleitung
Von einem höheren Standpunkt aus betrachtet sind die wichtigsten Zutaten für die lichtinduzierte Supraleitung ein Material und Licht.
Interessanterweise sagt uns die Quantenphysik, dass die Fluktuationen des Lichts überall vorkommen, selbst wenn es dunkel ist. Das liegt daran, dass der gesamte Raum von Quantenfeldern erfüllt ist, deren Anregungen die von uns beobachteten Teilchen sind. Im Falle des Lichts ist dies das Photonenfeld, das auf der kleinsten Skala niemals ruht, sondern immer in der Form von Quantenfluktuationen in Bewegung bleibt.
Obwohl diese Fluktuationen schwach erscheinen, spielt ihre Stärke eine äußerst wichtige Rolle für die Stabilität der Atome und die Photosynthese, die das Leben auf der Erde ermöglicht. Wissenschaftler*innen erforschen nun Möglichkeiten, solche Quantenfluktuationen zu verstärken, indem sie lichtreflektierende Spiegel sehr nahe beieinander platzieren. In den so gebildeten Hohlräumen springen die fluktuierenden Photonen hin und her, was eine stärkere Wechselwirkung zwischen ihnen und der Materie innerhalb des Hohlraums erzeugt als im freien Raum. In unserer Theoriearbeit haben wir gezeigt, dass die Wechselwirkung zwischen Hohlraumphotonen und Gitterschwingungen die Supraleitung in bestimmten Materialien beeinflussen kann [3], indem sie zu hybriden Licht-Materie-Anregungen, den so genannten Polaritonen, führt. Interessanterweise wurden solche polaritonischen Veränderungen der Supraleitung möglicherweise bereits in einem kürzlich durchgeführten Experiment beobachtet, dessen theoretische Interpretation noch umstritten ist.
Viel Spielraum zwischen klassischer Welt und Quantenwelt
Bei all den beschriebenen Effekten spielt die Kopplung zwischen Licht und Materie eine zentrale Rolle. Kürzlich haben wir entdeckt, dass zu dieser Kopplung auch die so genannte Quantengeometrie der Elektronen in Festkörpern beiträgt. Trotz des abstrakten mathematischen Konzepts, das ihr zugrunde liegt, führt die Quantengeometrie zu realen physikalischen Effekten. So lässt sich beispielsweise der Quanten-Hall-Effekt durch die Quantengeometrie erklären - ein Effekt, bei dem der Spannungsabfall über einem Material unter einem starken Magnetfeld bei niedriger Temperatur charakteristische Stufen und Plateaus aufweist, wenn die Feldstärke variiert wird. In unserer Gruppe haben wir gezeigt, wie die Quantengeometrie von Wellenfunktionen in Moiré-Materialien, in denen zwei oder mehr atomar dünne Schichten relativ zueinander verdreht sind und moiré-ähnliche Interferenzmuster bilden, zu nicht-klassischen Licht-Materie-Kopplungseffekten führen kann. Diese wollen wir in Zukunft für neue Hohlraum-Supraleitungseffekte und weitere Zwecke nutzen [4].
Das neu entstehende Gebiet der „Hohlraum-Quanten-Materialien" [5] erfährt derzeit ein rasches Wachstum, das sowohl durch anregende theoretische Vorschläge als auch durch rasche experimentelle Fortschritte vorangetrieben wird. Wissenschaftler*innen hoffen, dass ihre grundlegenden Erkenntnisse zu künftigen Anwendungen führen können. Insbesondere robustere Supraleiter, die elektrische Ströme verlustfrei bei höheren Temperaturen als momentan möglich leiten , würden helfen, Energie zu sparen, und könnten zu völlig neuen elektronischen Geräten führen. Außerdem könnte die Quantengeometrie von mit Licht wechselwirkenden Elektronen als Ressource für sogenannte topologische Quantencomputer genutzt werden. Mit diesen ließen sich komplexe Probleme lösen, die für klassische Computer unzugänglich bleiben.
„Es ist reichlich Platz zwischen dem Klassischen und dem Quantencomputer", wäre eine gute Zusammenfassung dieses Vorhabens. Wir hoffen, dass eine neue Generation von talentierten Forschenden dieser Einladung folgt und sich gemeinsam mit uns auf diese wissenschaftliche Reise begibt.