Laserpulse helfen Forschern, komplexe Elektronenwechselwirkungen zu entflechten
Zeitaufgelöste „Stop-Motion“-Aufnahmen und anspruchsvolle theoretische Simulationen enthüllen eine ungewöhnliche Form von Energieverlust
Die Eigenschaften komplexer Quanten-Materialien zu verstehen, ist eines der bedeutendsten Ziele der Physik kondensierter Materie und der Materialwissenschaften, da Effekte wie Hochtemperatursupraleitung zu einer Vielzahl von Anwendungen führen könnten. Nun hat ein internationales Team von Wissenschaftlern, zu dem auch Emmy Noether-Gruppenleiter Michael Sentef vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie am CFEL in Hamburg gehört, eine neue lasergetriebene „Stop-Motion“-Methode für die Untersuchung komplexer Elektronenwechselwirkungen unter dynamischen Bedingungen vorgestellt. Es wird erwartet, dass die Erkenntnisse, welche heute in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, das Verständnis der physikalischen Prozesse verbessern, die zu emergenten Phänomenen in stark korrelierten Materialien führen.
Wissenschaftler, die Hochtemperatursupraleiter erforschen – Materialien, die elektrischen Strom bei Kühlung unter eine bestimmte Temperatur ohne Energieverlust transportieren – sind seit jeher auf der Suche nach Wegen, um die Elektronenwechselwirkungen, welche für diese vielversprechende Eigenschaft verantwortlich gemacht werden, detailliert zu untersuchen. Eine große Herausforderung liegt darin, die vielen unterschiedlichen Wechselwirkungen zu entwirren – also beispielsweise die Effekte der Wechselwirkung der Elektronen untereinander von den Effekten ihrer Wechselwirkungen mit den Atomen im Material zu trennen.
In der aktuellen Studie verwendeten die Forscher einen sehr schnellen, intensiven „Pump“-Laser, um Elektronen einen Energiestoß zu geben, und einen zweiten „Probe“-Laser, um das Energieniveau der Elektronen und ihre Bewegungsrichtung zu vermessen während sie in ihren Ausgangszustand zurückkehren. „Durch Variation der Zeit zwischen dem Pump- und dem Probe-Laser können wir eine stroboskopische Aufnahme des Geschehens erstellen – einen Film des Materials vom Ruhezustand über die heftige Wechselwirkung bis hin zur Rückkehr in den Ausgangszustand“, sagte Jonathan Rameau, Physiker am Brookhaven National Laboratory und einer der Hauptautoren der Arbeit. „Es ist als ließe man eine Bowlingkugel in einen Wassereimer fallen, um eine große Störung zu erzeugen, und machte zu verschiedenen Zeiten danach Aufnahmen“, erklärte er.
Diese Methode, bekannt als zeit- und winkelaufgelöste Photoelektronenspektroskopie (time-resolved, angle-resolved photoelectron spectroscopy, tr-ARPES), in Kombination mit komplexen theoretischen Simulationen und Analyse, erlaubte es dem Team, die Reihenfolge und die energetischen Signaturen verschiedener Arten von Elektronenwechselwirkungen herauszufiltern. So gelang es ihnen, eindeutige Signale von Wechselwirkungen zwischen angeregten Elektronen (welche sich schnell abspielen, aber nicht viel Energie zerstreuen) sowie später stattfindenden zufälligen Wechselwirkungen zwischen Elektronen und den Atomen des Kristallgitters (welche Reibung erzeugen und zu schrittweisem Energieverlust in Form von Wärme führen) zu selektieren.
Aber sie entdeckten auch ein anderes, unerwartetes Signal – das ihrer Aussage nach eine neue Form extrem effizienten Energieverlustes darstellt – bei einem bestimmten Energieniveau und einer Zeitskala zwischen den anderen beiden.
„Wir sehen eine sehr starke und besondere Wechselwirkung zwischen den angeregten Elektronen und dem Gitter, bei der die Elektronen einen Großteil ihrer Energie sehr schnell auf kohärente, nichtzufällige Weise verlieren“, sagte Rameau. Bei diesem speziellen Energieniveau scheinen die Elektronen alle mit den Gitteratomen bei einer bestimmten Frequenz zu wechselwirken – wie eine Stimmgabel, die auf ihrer Resonanz einen Ton spielt. Wenn alle Elektronen, welche die richtige Energie für diese spezielle Wechselwirkung besitzen, den Großteil ihrer Anregungsenergie abgegeben haben, beginnen sie langsamer zu kühlen, und zwar mittels zufälligerer Prozesse, die nicht die Resonanzfrequenz benötigen. Die Resonanzfrequenz dieses Prozesses ist besonders bemerkenswert, da sie mit der Energie eines „Knickes“ in der Energiedispersion desselben Materials übereinstimmt, der zuvor in seinem supraleitenden Zustand mittels einer statischen Form von ARPES gefunden worden war.
Zu jener Zeit vermuteten die Wissenschaftler, dass der Knick etwas mit der Supraleitung des Materials zu tun haben könnte. Dasselbe Signal wurde oberhalb der kritischen Sprungtemperatur für Supraleitung nicht eindeutig nachgewiesen. Die neuen Experimente jedoch, die deutlich oberhalb der supraleitenden Temperatur durchgeführt wurden, konnten das subtile Signal herauskitzeln. Diese neuen Ergebnisse legen nahe, dass diese speziellen Umstände für die Resonanz existieren, selbst wenn das Material nicht supraleitend ist. „Wir wissen jetzt, dass die Wechselwirkung für die Resonanz nicht erst einsetzt, wenn das Material supraleitend wird; sie ist tatsächlich immer vorhanden“, sagte Rameau.
Michael Sentef, der die experimentellen Aktivitäten durch numerische Simulationen ergänzte, betonte den Einfluss dieser Arbeit auf das Feld der „Pump-Probe“-Spektroskopie. „Diese Arbeit zeigt deutlich, dass wir Fortschritte im theoretischen Verständnis von Systemen fern des thermischen Gleichgewichts gemacht haben, so dass wir jetzt quantitative Vorhersagen treffen können“, sagte er. „Diese Einsicht ist eine große Motivation für künftige Projekte, in denen wir uns mit noch komplexeren Situationen beschäftigen, zum Beispiel wenn Laserpulse genutzt werden, um supraleitungsartige Zustände bei hohen Temperaturen zu erzeugen“, ergänzte Sentef. In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit [Mitrano et al., Nature 530, 461–464 (2016)] beobachtete ein Team um MPSD-Direktor Andrea Cavalleri lichtinduzierte supraleitungsartige Eigenschaften in dem Material K3C60.